Räumung ohne Urteil?
Veronika vermietet in einer Wohnanlage sechs Wohnungen. Sie kann sich Mietausfälle und Wohnungsleerstände nicht leisten, denn die Baukredite müssen pünktlich getilgt werden. Michael, einer ihrer Mieter, ist seit mehreren Monaten ortsabwesend. Sein Aufenthalt ist unbekannt. Von Verwandten wurde Michael als vermisst gemeldet.
Nachdem die Mieten drei Monate lang für Michael nicht bezahlt worden waren, kündigte Veronika das Mietverhältnis fristlos. Um weiteren Mietausfällen zu begegnen will Veronika die Wohnung räumen, um sie neu vermieten zu können.
Vorsorglich fragt Veronika Rudi um Rat. Sie will wissen, ob sie die Wohnung ohne Räumungsklage und damit ohne einen lang andauernden Gerichtsprozeß räumen darf.
Rudi fand heraus, dass der Bundesgerichtshof (BGH) durch Urteil vom 14.7.2010 in einem ähnlichen Fall zu entscheiden hatte. In jenem Fall hatte die Vermieterin die Wohnung nach fristloser Kündigung in Besitz genommen, einen Teil der Wohnungseinrichtung des Mieters entsorgt und einen anderen Teil der vorgefundenen Sachen bei sich eingelagerte. Der Mieter hat – gestützt auf ein Sachverständigengutachten – für die ihm nach seiner Behauptung im Zuge der Räumung abhanden gekommenen, beschädigten oder verschmutzten Gegenstände ca. 62.000 EUR Schadenersatz zuzüglich der ihm entstandenen Gutachterkosten von der Vermieterin eingeklagt. Das Amtsgericht Wiesbaden wies die Klage des Mieters ab. Vom Landgericht Wiesbaden wurde die Berufung des Mieters zurückgewiesen. Im Revisionsverfahren hatte der Mieter Erfolg. Der Bundesgerichtshof entschied in jenem Fall, dass die Vermieterin für die Folgen einer solchen Räumung haftet.
Die nicht durch einen gerichtlichen Titel gedeckte eigenmächtige Inbesitznahme einer Wohnung und deren eigenmächtiges Ausräumen durch den Vermieter stellen eine unerlaubte Selbsthilfe gemäß § 229 BGB dar. Das gilt auch dann, wenn der Aufenthaltsort des Mieters unbekannt und ein vertragliches Besitzrecht des Mieters infolge Kündigung entfallen ist. Der Vermieter muss sich in diesen Fällen gegebenenfalls nach öffentlicher Zustellung der Räumungsklage einen Räumungstitel beschaffen und aus dem Räumungsurteil die Zwangsräumung mit Hilfe des Gerichtsvollziehers betreiben. Übt ein Vermieter stattdessen im Wege
einer sogenannten „kalten“ Räumung eine verbotene Selbsthilfe aus, ist er gemäß § 231 BGB verschuldensunabhängig zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens gegenüber dem Mieter verpflichtet.
Nach Rudis Erläuterungen nahm Veronika von einer eigenmächtigen Räumung der Wohnung ihres Mieters Michael Abstand. Da sein Aufenthaltsort und damit seine ladungsfähige Anschrift unbekannt sind, kann Veronika die „öffentliche Zustellung“ ihrer Räumungsklage bei Gericht beantragen. Sie weiß jetzt, dass dies der sicherste und EINZIGE rechtmäßige Weg ist, um die Wohnung räumen lassen zu können.
(besprochen/mitgeteilt von Rechtsanwalt Bernhard LUDWIG, Bad Langensalza und Gotha)
Quelle: openPR
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Kategorien: Recht, Urteile
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