Unfallflucht straffrei?
Uwe kam auf der verworfenen, nassglatten Fahrbahn ins Schleudern und prallte mit seinem Fahrzeug gegen den Schrankenantrieb der Bahnschrankenanlage. Er sah sich die Schäden an seinem Pkw sowie an der Schrankenanlage an und wollte die Polizei benachrichtigen. Der Akku seines altersschwachen Mobiltelefons war jedoch entladen. Uwe fuhr zunächst zu seinem in der Nähe wohnenden Bruder, beide brachten den beschädigten Pkw in die Vertragswerkstatt, damit die Reparaturen an dem Fahrzeug noch vor Feierabend erbracht werden konnten. Anschließend ließ sich Uwe von seinem Bruder zur Polizeistation fahren und meldete dort den Unfall. Dort hatte ca. 40 Minuten zuvor eine Zeugin Uwes Unfallflucht geschildert. Da Uwes linkes Knie seit dem Unfall stark schmerzte, ließ sich Uwe von der Polizei aus durch seinen Bruder ins Krankenhaus fahren.
Uwe wurde der Führerschein wegen „Unfallflucht“ vorläufig entzogen (§§ 111a Abs.1 StPO, 69 Abs.1, Abs.2 Nr.3 StGB). Ihm droht eine Anklage wegen unerlaubtem Entfernen vom Unfallort gemäß § 142 StGB. Uwe ist ratlos und fragt Rudi um Rat.
Als langjährigem Kraftfahrer ist Uwe bekannt, dass das unerlaubte Entfernen vom Unfallort bei einem bedeutenden Schaden gemäß § 69 Abs. 2 StGB zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis führen kann. Uwe will wissen, wo die tatbestandsmäßigen Grenzen für eine solche vorweggenommene Prognose zur „Regelentziehung“ der Fahrerlaubnis sind.
Er ist der Ansicht, keine Unfallflucht begangen zu haben, denn er konnte die Polizei nicht unverzüglich verständigen und er hat den Unfall der Polizei zeitnah gemeldet.
Rudi fand heraus, dass das Landgericht Aurich (LG) in einem ähnlichen Fall am 06. Juli 2012 entschieden hatte, den beschlagnahmten Führerschein dem Beschuldigten wieder herauszugeben. Obwohl laut Landgericht in jenem Fall alle Tatbestandsmerkmale der Unfallflucht erfüllt waren, fiel die Tat so sehr aus dem Rahmen der typischen Begehungsweise heraus, dass sie nicht mehr als der Regelfall anzusehen war. Der einzige Vorwurf, der dem Beschuldigten in jenem Verfahren zu machen war, lag lediglich darin begründet, dass er sich nicht unverzüglich, sondern erst mit 40-minütiger Verzögerung bei der Polizei gemeldet hatte. Das Verhalten des Beschuldigten erfüllte „gerade noch“ den Tatbestand der Verkehrsunfallflucht, wobei sich sein Verhalten am untersten Rand der Strafwürdigkeit bewegte.
Das Gericht berücksichtigte in seiner Entscheidung, dass der Beschuldigte durch seine nachträglichen Aufklärungsbemühungen dem Feststellungsinteresse der geschädigten Deutschen Bahn AG hinreichend Rechnung getragen habe und er entschlossen war, den Schaden zu ersetzen. Der Schutzzweck des §142 StGB war somit erfüllt. Auch die Persönlichkeit des Beschuldigten bzw. der Umstand, dass sein Verkehrszentralregisterauszug keine Eintragungen aufwies, wurde bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt.
Uwes Fall ist ähnlich gelagert wie jener vom LG Aurich entschiedene Fall (Az:12 Qs 81/12).
Dennoch ermahnte Rudi Uwe, sich nicht zu früh zu freuen, denn das LG Aurich hatte nur im Beschwerdeverfahren über die v o r l ä u f i g e Entziehung der Fahrerlaubnis entschieden. Auch vor dem Hintergrund der geringen Strafwürdigkeit der Verhaltenskonstellation dürfte letztendlich ein Fahrverbot gemäß § 44 StGB in Betracht kommen.
(besprochen/mitgeteilt von RECHTSANWALT Bernhard LUDWIG, Bad Langensalza und Gotha)
Quelle: openPR
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Kategorien: Recht, Urteile
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